Neueste Forschungen und Denkansätze

27.02.03   Zeitschrift “Gehirn und Geist”, das Magazin fĂĽr Psychologie und Hirnforschung, Nr.4/2002

Beitrag Brennpunkt Ethik. Prof. Metzinger:

“ Die Hirnforschung verändert in dramatischer Weise unser Menschenbild. Und damit die Grundlage unserer Kultur, die Basis unserer ethischen Entscheidungen. Es handelt sich um eine tiefgreifende Veränderung des Bildes von uns selbst. Das wird für manche von uns schmerzhaft sein. Ich denke da etwa an unsere Vorstellungen von Sterblichkeit. Speziell an die überkommene Annahme, es könnte Bewusstsein vielleicht auch ohne neuronale Basis geben. Die Vorstellung einer Fortexistenz des bewussten Selbst nach dem physischen Tod wird jetzt so unplausibel, dass der emotionale Druck auf Menschen, die dennoch an ihren traditionellen Weltbildern festhalten wollen, nur schwer erträglich werden könnte. Das Thema Sterblichkeit wird seit Jahrhunderten diskutiert. Aus rein philosophischer Perspektive ist Endlichkeit als solche zunächst kein Problem. Nur engt sich jetzt auch für die allgemeine Öffentlichkeit, für den Normalbürger, der Spielraum dessen zunehmend ein, woran er als Privatmensch noch glauben kann. Ohne vom Rest der Gesellschaft belächelt zu werden. Wer dem wissenschaftlichen Erkenntnis- fortschritt offen begegnet, kann bald nicht mehr an so etwas wie ein personales Überleben nach dem Tode glauben.

Der persönliche Tod ist fĂĽr uns im allgemeinen der grösste anzu- nehmende Unfall. Die Evolution hat den Ăśberlebenswillen als eine Art biologischen Imperativ fest in unseren GefĂĽhlsapparat eingebrannt. Jeder Einzelne von uns wird zukĂĽnftig noch bewusster als bisher damit leben mĂĽssen, dass dieser Super-GAU auch fĂĽr ihn eintreten wird. Mein Existieren ist begrenzt – diese Einsicht trifft uns bereits als biologische Wesen. Sie verursacht einen emotionalen Schmerz – sozusagen als Preis dafĂĽr, dass wir denken können. Noch härter trifft sie freilich Anhänger bestimmter kultureller Traditionen – etwa der christlichen.    

Soweit nun mal diese Gedanken, die für mich bedeuten, dass das Gehirn und seine Neuronen eben unser Bewusstsein ausmachen. Mit dem wir denken und handeln. Und wenn wir eben sterben, also der Tod eintritt, dann bleibt von uns in dem Sinne eigentlich nichts mehr übrig, denn der Körper zerfällt, das Gehirn, diese Neuronen eben. Und damit zerfällt auch unser Ich.

Das ist für mich der wesentlichste Gedanke, der hier angesprochen wird: Es gibt demnach, medizinisch-neurowissenschaftlich betrachtet, eigentlich keinen Grund zu Annahme eines Lebens nach dem Tode. Und damit einer der Grundlagen eines christlichen Glaubens: des Himmels, der Hölle, eines Gerichtes. Oder auch einer Ewigkeit, in der man mit Gott oder Jesus zusammen sein sollte.

Für mich ist dieses Gedankengut eine wirkliche Herausforderung an das Christentum, an unsere Kultur, an unser persönliches Leben. Nämlich der Verantwortung für mich selbst, für das Leben und der Welt schlechthin.

Und diese Gedanken bergen ein totales Umdenken in sich. Wie dieses auch früher bei den neuen Vorstellungen und Erkenntnissen über unsere Welt ebenso geschah: als Galileo oder Kopernikus das neue heliozentrische Weltbild formten. Oder auch als Darwin mit seiner Evolutiontheorie unser Wissen veränderte. Genauso, oder vielleicht sogar noch mehr, wird dieses neue Weltbild aus der Hirnforschung sich durchsetzen müssen und unser Dasein wesentlich verändern.

Also: es ist nun wirklich so : Gott ist in unserem Gehirn, und nicht irgendwo.